In der Schweiz entsteht eine riesige Fabrik für Feststoffzellen. Das mischt das weltweite Batteriegeschäft auf.
Von Bernhard Fischer
Die Batterie der Zukunft kommt aus der Schweiz – und ist demnächst bereit für den Einsatz. Im Oktober will der Geschäftsführer von Swiss Clean Battery (SCB), Thomas Lützenrath, die weltweit erste Feststoffbatterie in Serienfertigung öffentlich vorstellen.
Eine einzelne Zelle misst 13 mal 13 Zentimeter und passt in die meisten batteriebetriebenen Anwendungen, von Stromspeichern zur Netzstabilisierung über Industrie- und Heimspeicher bis hin zu Autos, Schiffen und später einmal auch Flugzeugen. Die Technologie könnte die bisherigen Lithium-Ionen-Akkus in den Schatten stellen.
Für die Herstellung der Feststoffakkus zieht SCB die erste Gigafactory der Schweiz hoch – und auch die weltweit erste für die Massenfertigung dieser Art von Batterien. Produktionsstart: Frühling 2025. Die Kosten für die helvetische Akkurevolution: 400 Millionen Franken. Es ist das Ergebnis jahrzehntelanger Forschung.
In den Labors der deutschen Firmentochter High Performance Battery GmbH (HPB) hat Swiss Clean Battery mit Sitz in Frauenfeld TG einen Akku ohne flüssigen Elektrolyten im Inneren entwickelt: eine sogenannte Feststoffbatterie.
Das bedeutet: Der Elektrolyt wird von aussen in flüssiger Form eingebracht und verfestigt sich im Inneren. «Ein sinnvoller Ansatz, da so ein Grossteil der Produktionsschritte in Gigafactorys beibehalten werden kann», findet Corsin Battaglia, Leiter Batterieforschung an der Empa und Professor an der ETH.
Die Vorteile gegenüber der bisherigen Lithium-Ionen-Technologie: Der Feststoffakku ist nicht brennbar, kommt weitgehend ohne kritische Rohstoffe aus, soll viermal langlebiger und um 50 Prozent umweltfreundlicher sein. Achtzig Stück solcher Zellen hat HPB/SCB bereits gebaut.
Um den internationalen Batteriehunger stillen zu können, entsteht eine Fabrik auf der grünen Wiese in der Grösse einer Gigafactory. Im Bündnerland, auf sieben Etagen, zwischen dem Medtech-Unternehmen Hamilton und der Ems-Chemie.
Finanziert wird dies unter Non-Disclosure-Agreements von institutionellen Investoren, Greentech-Fonds und Unternehmern. Das Geld ist für Gebäude, Maschinen und bis zu 800 Fachleute vorgesehen. Produktionsstrassen, Materialfluss, Logistik und sämtliche Arbeitsschritte wurden bereits durchexerziert.
Von den budgetierten 400 Millionen Franken sind 90 Millionen fürs Gebäude vorgesehen. Gut 300 Millionen für das Grundstück, den Maschinenpark, die Mitarbeitenden – und für das, was es für die laufende Herstellung so braucht. Legt SCB mit der Produktion los, rechnet Firmenchef Lützenrath mit einem Umsatz von 2 Milliarden Franken pro Jahr.
In der ersten Ausbaustufe ist die Produktionskapazität auf eine Gesamtleistung von 1,2 Gigawattstunden ausgelegt. Zur Veranschaulichung: Für einen Haartrockner, der eine Stunde lang läuft, braucht es 500 Wattstunden. Und mit mehr als einer Gigawattstunde könnte sich die gesamte Bevölkerung Chinas eine Stunde lang die Haare föhnen.
In einem zweiten Schritt plant SCB, die Produktionsleistung auf 8 Gigawattstunden und darüber hinaus zu erhöhen. Damit könnte zum Beispiel eine Gemeinde wie Waldenburg BL mit zwischengespeichertem Strom aus Feststoffakkus versorgt werden, später auch grössere Städte.
Dafür braucht es dann freilich noch viel grössere Kapazitäten – allein die Stadt Zürich verbraucht 3000 Gigawattstunden pro Jahr. Gemäss den Klimazielen wäre es wünschenswert, erneuerbare Energien effizient zwischenzuspeichern.
Für Deutschland hat der Ökonom Hans-Werner Sinn errechnet, dass es für die Zwischenspeicherung von Solar- und Windenergie Batterien mit einer Leistung von 11,3 Terawattstunden bräuchte. Das entspricht 87 Kraftwerken mit einer Leistung von je 5 Gigawatt, die Strom über eine Laufzeit von 25 Jahren produzieren müssten. Mit der bisherigen Lithium-Ionen-Technologie ist das kaum zu schaffen. Allein die Kosten dafür lägen bei 218 Billiarden Euro.
Feststoffbatterien hingegen wären deutlich günstiger, weil sie um ein Vielfaches länger halten. Bei einem so grossen Potenzial findet SCB-Chef Lützenrath, «ob nun ein E-Auto-Bauer unsere Batterie einbaut oder nicht, ist verglichen damit geradezu vernachlässigbar». Die Marktchancen in der Energieversorgung sind noch grösser.
Offen ist er für viele Geschäftsmöglichkeiten, für den Einsatz in Fahrzeugen oder Stromnetzen. Swiss Clean Battery will quasi der Zünder für ein neues Batterieökosystem in der Schweiz sein. Lützenrath möchte dafür nicht nur die eigene Produktion aufbauen, sondern die Technologie auch an andere Produzenten lizenzieren.
Zum Beispiel an den Schweizer Akkuhersteller Leclanché aus der Romandie. Leclanché ist bis anhin der bekannteste Schweizer Batteriehersteller, hat aber seit Jahren wirtschaftlich zu kämpfen. Es harzt bisweilen in der Forschung, bei der Finanzierung und beim Umsatz. Alternative Konzepte und finanzstarke Marktgiganten wie die chinesischen Energiespeicherfirmen BYD und Catl sowie Tesla und das von BMW und Ford unterstützte US-Unternehmen Solid Power dürften dem SCB-Mitbewerber Leclanché in Zukunft noch mehr zusetzen.
Dessen Aktionäre und Aktionärinnen glauben offenbar nicht so recht an die Strategie: Die Aktie hat innert fünf Jahren zwei Drittel ihres Wertes eingebüsst. Trotz grösserer Aufträge aus der Schifffahrt und Elektromobilität. Und trotz Durchbruch mit einer umweltfreundlicheren Lithium-Ionen-Batterie bei einer 20 Prozent höheren Energiedichte.
Zu einer möglichen Kooperation mit Swiss Clean Battery äussert sich die Firmenleitung nicht. Leclanché setzt kommerziell weiterhin voll auf die Lithium-Ionen-Technologie, so wie das Gros der Konkurrenz. Man forsche selber an neuen oder verbesserten Zell- und Batterietechnologien. Ein Kundenauftrag liegt dafür noch nicht vor.
Zu den Vorwärtsdenkern im Batteriegeschäft zählt auch Belenos. Die Belenos Clean Power Holding war ursprünglich das Baby von Swatch-Gründer Nicolas Hayek. Er wollte schon vor über zehn Jahren damit zur Elektromobilität und zur CO2-Reduktion beitragen. Mit welchem Erfolg das Unternehmen derzeit an neuen Batterietechnologien arbeitet, ist schwer zu sagen. Das Unternehmen ist sehr verschlossen.
Swiss Clean Battery ist da offensiver. Wenn in den nächsten Monaten die Produktionsbänder der SCB für die Superbatterie «made in Switzerland» anlaufen, könnte das sogar die Automobilgiganten Toyota und VW alt aussehen lassen. Toyota kündigte letztens E-Autos mit Feststoffakku an, aber erst ab 2027. Und ohne über Details zu sprechen. VW ist mit 400 Millionen Dollar in die börsenkotierte Quantumscape aus Kalifornien investiert, die ebenfalls zu Feststoffakkus forscht. Aber auch bei den Amerikanern haben die Tüfteleien bislang nicht zur Marktreife gereicht. Der Aktienkurs von Quantumscape ist innert drei Jahren um fast 90 Prozent eingebrochen.
«Wenn man sich die Börsenkurse solcher Firmen anschaut, gibt es am Anfang meistens einen grossen Peak, dann sinkt der Kurs meist wieder, weil die Resultate oft noch unter den Erwartungen liegen, da es Zeit braucht, alle Produktionsschritte zu skalieren», sagt Battaglia.
SCB dürfte weiter sein. In der Manufaktur der Firmentochter HPB wurden bereits konkrete Zellen gefertigt, die jeweils 150 Wattstunden pro Kilogramm liefern und 12’000 Ladezyklen ohne Leistungsverlust halten. Gutachten der Materialprüfstelle Empa, des Zentrums für Brennstoffzellentechnik der Uni Duisburg und der Universität Freiburg bestätigen deren technologische Einzigartigkeit, die Messdaten seien überzeugend.
Das klingt fast zu gut, um wahr zu sein: Die kleine Schweiz mischt – noch vor den grössten Automobilfirmen der Welt und noch vor der Batteriegrossmacht China – mit den ersten serienreifen Feststoffakkus der Welt das globale Batteriegeschäft auf.
Fakt ist: Die Batterien existieren, und sie funktionieren. Auch Unternehmen wie SBB, Migros und Stadler Rail scheinen davon überzeugt zu sein. Firmen-Insider bestätigen, dass sie die ersten Testzellen haben wollen. Lebensmittelverarbeiter in der Deutschschweiz wie Bieler, Jenzer und Angst, die wie die Migros auf Unmengen von Energie für ihre Kühlketten angewiesen sind, wollen diese Energiespeicher der Superlative ebenfalls haben. Der orange Riese verbraucht immerhin 60 Prozent seines Stroms allein für seine Kühlketten und wäre über so langlebige, kompakte Akkus wohl hocherfreut.
Die Nachfrage nach den Batterien von SCB kommt nicht nur aus der Schweiz. Fahrzeughersteller, Schiffsbetreiber, Energieversorger und Industriefirmen bis nach Indien haben laut Firmenchef Lützenrath Absichtserklärungen unterzeichnet, um die neuen Spitzenakkus einzukaufen.
Welche Hersteller sich aber langfristig mit welcher Technologie durchsetzen werden, das dürfte mehr eine Frage des Marketings werden und davon abhängen, wie viel Geld bereits geflossen ist. Denn kein Unternehmen will vergebens auf einen bestimmten Batteriestandard gesetzt haben, sondern damit Geld verdienen.